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Silke Arning, SWR 2 Kulturredakteurin

in: SWR2 am Nachmittag am 26.06.2021

©2021 SWR

 

( mit freundlicher Genehmigung von Silke Arning )

Es ist ein munteres Pärchen, das da im Gasthaus Zum neuen Krug abgestiegen ist. Der Wirt jedenfalls findet das und in gewisser Weise hat er Recht. Denn die beiden Herrschaften oben im Zimmer sind gerade munter dabei, ihrenAbgang zu organisieren. Letzte Briefe, letzte Grüße. Henriette Vogel und Heinrich von Kleist haben sich zum gemeinsamen Suizid verabredet. Und genau so geschieht es: am Stolperlocherschießt Kleist erst Henriette, dann sich selbst. Klarer Fall. Moment, meint Autor Ulrich Land und spricht von Ungereimtheiten:

„Es gab einfach eine Pistole zu viel an dieser Stelle am heutigen kleinen Wannsee, die man besichtigen kann, an seiner Todesstätte. An dieser Stelle gab es drei Pistolen, das ist bis heute merkwürdig und ungeklärt. Und da denkt man ja sofort, da kann ich ja meine eine Geschichte draus machen.“

Ulrich Land hat recherchiert, war am Tatort und hat den offiziellen Ermittlungsbericht studiert. Die dritte Pistole werde dort gar nicht mehr erwähnt, erzählt er. Noch so eine merkwürdige Sache. Da muss doch noch jemand anders die Hände im Spiel gehabt haben – zumindest in Lands Version vom 21.November 1811. Er lässt an dieser Stelle den berühmt-berüchtigten Michael Kohlhaas lebendig werden. Den Rosshändler, den Heinrich von Kleist in seiner Novelle auf Rachefeldzug schickt:

„Dieser Michael Kohlhaas tritt aus seinem Reclamheftchen, taucht am kleinen Wannsee auf, wo Kleist nun mit Henriette Vogel ins Jenseits wechseln will. Und Kleist schießt zunächst ihr und dann sich selber in die Brust bzw. in den Kopf. Er macht das also und Henriette Vogel stirbt. Und überliefert ist, dass er sich anschließend selber erschießt. Und meine Idee ist: Nö, der kriegt da plötzlich doch Muffensausen. Dann tritt aber Michael Kohlhaas aus dem Gebüsch hervor und sagt: doch, jetzt ist es soweit. Und knallt ihn aus lauter Rache wieder über den Haufen.“

Aus Rache, weil Kleist ihn in seiner Geschichte schließlich hängen ließ. Ulrich Land erzählt das herrlich leicht, mit Witz und doppeltem Boden. Schon der erste Satz in diesem „letzten Akt“ kommt so harmlos daher, steckt aber voll wunderbarer Abgründigkeit: „Kleist war kein schöner Mann. Zeit seines Lebens nicht. Und Zeit seines Sterbens“. Klar: so ein Kopfschuss hinterlässt unschöne Spuren. Doch der gute Heinrich zeigt sich am Stolperloch tatsächlich von einer unschönen Seite, befördert er Henriette ins Jenseits, obwohl die eigentlich gar nicht mehr will. Autor Ulrich Land fabuliert hier kräftig drauf los, auch sprachlich zeigt er keinerlei Hemmungen und verliert sich gern in einer sehr barocken Ausdrucksweise. Freimütig gibt er zu:

„dass ich seit Abiturientenjahren immer diese alte Sprache genossen habe in ihrer Kompliziertheit, in ihrer Verschwurbeltheit, in ihrem indirekten, in ihrem Konjunktiv usw. Das habe ich immer genossen und dachte auch, hoffentlich kann man davon ein bißchen was in die Gegenwart retten. Ich merke, wenn ich darauf los schreibe, dann komme ich immer wieder bei solchen Dingern an, wo man denkt: mein Gott, was für ein Geschnörkel.“

Stimmt, der alte „Schnörkelfritze“ -Achtung, eine Landsche Formulierung – der alte Schnörkelfritze Kleist - der hätte sich wahrscheinlich – so noch vorhanden – an den Kopf gefasst. Ob aus Entsetzen oder Freude, sei mal dahingestellt. Denn Ulrich Land ist klug genug, sich nicht mit der Sprache Kleists messen zu wollen. Es ist eher so eine Retro-Patina, die über dem Text liegt und die gerade ganz banalen Situationen einen bizarr komischen Anstrich verleiht. Sehr vergnüglich sind da vor allem die Szenen, in denen sich KleistsHalbschwester Ulrike mit Kleists Verleger Cotta streitet, der ihr vorwirft, „geschlechtsvertraulich“ gewesen zu sein. Mit anderen Worten, ein Verhältnis mit Folgen gehabt zu haben, woraufhin Ulrike ihm wütend kontert: „Cotta, Schwein schwarzes!“

„Für mich war die Geschichte damit nicht zu Ende, mit Kleists Ende, sondern ich wollte ein Nachspiel inszenieren, um zu gucken, wohin die Reise noch gehen könnte, zumal ich jetzt Michael Kohlhaas aus dem Reclam-Heftchen gezaubert hatte und der stand jetzt dumm da rum“

Stellt Ulrich Land klar, der Ulrike von Kleist als sehr patente Kämpferin um Ansehen, Ruf und Rechte ihres Halbbruders ins Rennen schickt und obendrein noch Einblick in die fragwürdigen Ermittlungen des Justizkommissars Johann Christian Felgentreu nimmt. Doch damit nicht genug, denn es gibt noch eine zweite Geschichte in der Geschichte – eine aktuelle Stimme, eine junge Literaturstudentin, die erstaunt feststellt, dass ihr ein Kleist-Reclam-Heftchen abhandengekommen ist.

„Sie kommentiert das, was wir da gerade lesen, was da in diesem Roman an historischer Geschichte verhandelt wird, das kommentiert sie, weil sie quasi selber auch vor einem Tribunal steht – da will ich jetzt wirklich nicht zu viel verraten – aber sie steht mit dem Rücken an der Wand und sie kommentiert das auf eine flappsige, bissige, aber auf jeden Fall kritische Art. Und wir merken Zug um Zug, dass sie selber auch irgendwie Dreck am Stecken hat.“

Es ist schon ein abenteuerlicher Ritt, den Ulrich Land hier durch Zeiten und Sprachen hinweg vollzieht. Aberwitzig, detail- und kenntnisreich, rasant, fast wie ein Theaterstück konstruiert. Vor so viel Verwegenheit muss man den Hut ziehen.

 

von Ulrich Land (Kommentare: 0)

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