Romanwerkstatt

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Um drei, vier Gassenecken, durch ausufernde Gossenpfützen: zu diesem kleinen Turm. Nun wirklich unscheinbar. Aber: Hölderlin!

Klar, hatte ich von gehört. Im Studium unter 'ferner liefen'. Bin in meinen Zwanzigern zweimal nach Tübingen gereist; eher beiläufig auch Hölderlins Turmzimmer besucht. Touriprogramm. So weit ich mich erinnere – abgesehn von Weimar, von Nabokovs Hotelsuite in Montreux, von Kleists, Heines, Brechts Gräbern – die einzige Literaturpilgerstätte, die ich bis dato heimgesucht hab.

Die Enge der runden Wände von Hölderlins Turmzimmer ist mir in bleibender Erinnerung. Seit Jahrzehnten. Und der fantastische Ausblick aus dem Fenster: der windige Gruß der hohen, altehrwürdigen Bäume. Und drunten das leise Gurgeln und Glucksen der Wasser, mit denen der Neckar die freigespülten Wurzeln am Ufer umspielt. Idylle pur. Die auf ihrer Rückseite erahnen lässt, wie der Verseschmied in seinen fortgeschrittenen Jahren mit sich gekämpft hat.

"O Freunde! Freunde! die ihr so treu mich liebt!
Was trübet meine einsamen Blicke so?
Was zwingt mein armes Herz in diese
Wolkenumnachtete Totenstille?

Ach, Freunde! welcher Winkel der Erde kann
Mich decken, daß ich ewig in Nacht gehüllt
Dort weine? Ich erreich‘ ihn nie den
Weltenumeilenden Flug der Großen."

Weniger um Reime, Versschemata, geschmeidige Rhythmen wird er gerungen haben, die flossen ihm in seiner längst professionellen Routine wie von selber aus der Feder. Auch wenn sich seine Gedichte in den Turmjahren bemerkenswerterweise wieder deutlich mehr den Regularien der offiziellen Gedichtsschreibung unterwerfen.

Gerungen hat Hölderlin mit sich selbst um sich selbst.

von Ulrich Land (Kommentare: 0)

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