Werkstatt
06 - Der Plan
Erneut suchte sie den Gabbai auf. Und, Wochen und Monate nach ihrem letzten Treffen, erinnerte sich dieser an seine Frage, die offen geblieben war.
»Was heißt hier: Es ist Ihnen "So einiges" wert?«, griff er die im Raum stehende Frage ohne weitere Schnörkel noch mal auf. Er wollte, wie es aussah, Sargnägel mit Köpfen machen.
»Ist ja gut. Wir werden uns schon handelseinig werden. Das hab ich Ihnen schon beim letzten Mal versichert. Jetzt geht es erst mal darum, dass wir den perfekten Schlachtplan aushecken.«
»Na ja nun: so normal wie möglich.«
»Genau. Das hört sich gut an. Jeder muss denken, alles ist ganz normal. Das Gewicht von dem Ding, die Zeremonie sowieso, Kerzen, Gesänge, einfach alles.«
– Es geht schließlich um alles. Also bitte, also los. Du schenkst ihr schnell noch einen weiteren Schuss Mutschnaps ein. Ist ja nun alles andre als ein Allerweltsunterfangen, was sie da vor der Brust hat. –
»Das Problem wird der Totenschein werden, das kann ich Ihnen flüstern. Das kostet extra!«, versuchte er noch einen wohlmeinenden Einwand an die Frau zu bringen.
»Fällt Ihnen eigentlich noch etwas anderes ein, als nach Korinthenkackermanier Münzen zu zählen.? Ich möchte jetzt nicht mehr darüber reden. Sie kennen doch garantiert Ärzte zur genüge, die mit Ihren geschäftlichen Umtrieben vertraut sind. Und da soll es nicht einen drunter geben, der …«
»Doch. Sicher. Aber nicht für umsonst. Da werden Sie einen gepfefferten Bonus lockermachen müssen.«
»Meine Güte, alte Krämerseele! Ich habe doch gesagt …«
»Das ist gefährlich, meine Guteste, wenn Sie nie über Zahlen reden wollen, das kann ein bitterböses Erwachen geben.«
»Ich bin Poetin, junger Mann, verstehe mich aufs Verseschmieden. Zahlen sind schlicht unter meiner Würde. Und Geld hat da zu sein oder angeflogen zu kommen.«
»Nicht zu fassen. Sie leben in einem Wolkenkuckucksheim, junge Frau.«
»Warum auch nicht. Allemal besser als hinter den schwedischen Gardinen der Tag für Tag frisch gezimmerten Schachteln.«
»Vorsicht! Ja?«
»So war das nicht gemeint. Ich wollte Ihnen selbstredend nicht zu nahe treten. Also was ist jetzt mit dem Arzt?«
»In Berlin wäre das alles kein Problem, aber hier in Jerusalem!? Hier haben die alle ordentlich was hinter sich, die wenigsten sind ja freiwillig hier, sind exilgeschädigt und waren vorher längst schon traumatisiert, sind jedenfalls für Tricksereien nicht zu haben. Der einzige, der mir einfällt, ist …«
»Ja?«
»… aber der ist bestens bekannt mit Ihrem Geschiedenen.«
»Das auf keinen Fall!«
»Die kennen sich aus ihren Berliner Jahren. Aus den Jahren lange vor der Machtergreifung, aus gemeinsamen medizinischen …«
»Hören Sie auf! Halten Sie sich geschlossen.« Das gab es doch wohl nicht. Was fiel diesem Kerl in seinem schmierigen Anzug ein! Was hatte der über ihren Verflossenen zu palavern! Mochte ja sein, dass dieser Arzt ihren Ex-Lasker auch noch aus Berlin kannte, aber das gab der schwarzen Vogelscheuche ja noch lange nicht das Recht, sie hier ständig an diesen alten Aaskäfer zu erinnern.
– Verdammt, du musst den Burschen mit dem Geier auf der Schulter am kurzen Zügel führen. Der Mann, der kriegt es fertig und macht dir hier das ganze mühsam angebahnte, aufgebaute, festgezurrte Konstrukt kaputt.–
»Gut gut, der also nicht. Wer dann? Wir brauchen jedenfalls einen Totenschein, unterzeichnet von einem Arzt. Sonst gibt's Ärger und die ganze Chose fliegt in Nullkommanichts auf. Und ich bin der Gelackmeierte.« Er ging zwei, drei Schritte, schob die Hände auf dem Rücken ineinander und drehte noch eine halbe Runde im Stechschritt durch sein winziges Büro.
»Worauf«, murmelte er, »worauf hab ich mich da bloß eingelassen!«
»Nun mal nicht schlappmachen. Auf ins Abenteuer! Frisch gewagt, ist halb …«
»Eben nicht. Das hat mit Strategie zu tun, mit kühlen Überlegungen, mit ausgeklügelten Erwägungen. Mit Gedankengängen, die Ihnen nicht vertraut sein mögen, aber ...«
»Vorsicht! Ja?«
»Es gilt, ein glasklares Programm abzuarbeiten: Die Kevura mit der Friedhofsverwaltung und mit dem Rabbi absprechen, die Totenwache organisieren, die Heilige Bruderschaft für die Tahara zusammenrufen, Ankündigungskarten an Angehörige, Freunde, Bekannte, außerdem in Ihrem Fall der Presse Informationen rüberreichen – aber als allererstes mal eine Leiche! Und dann, wie gesagt, diesen Totenschein. Und da weiß ich eben nicht …«
»… ob es gut ist, noch eine weitere Person einzubeziehen. Nein, würde ich sagen, ein ganz entschiedenes Nein. Ich meine, ich bin Dichterin, was spricht dagegen, wenn ich einen Totenschein dichte?«
»Sie mögen sich vielleicht auf Verse verstehen, aber Sie wissen doch überhaupt nicht, wie so ein Ding aussieht, was da drin steht, was da drin stehen muss.«
»Aber Sie. Sie können mir problemlos ein Exemplar aus zurückliegenden "Chosen" geben. Eine entsprechende Vorlage zurecht frisieren und aufpolieren, das sollte mir wohl gelingen. Prosa, wissen Sie, geht mir besonders leicht von der Hand. So leicht, dass sie einfach nie das Genre gewesen ist, in dem ich mich verlustiert habe. Also Sie schieben mir eine Vorlage rüber, und ich betätige mich künstlerisch. Sie müssen sich keine Sorgen machen, das wird schon.«
von Ulrich Land (Kommentare: 0)
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