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Anna Petra Thomas:
„Sie gewinnen Leben“: Kreative Lesung lässt Figuren aus dem Rahmen treten
in: Heinsberger Zeitung vom 24.07.2025
WASSENBERG Ein Gemälde war es dieses Mal, dem die fünf Teilnehmerinnen und der Teilnehmer der diesjährigen Sommerakademie fürs kreative Schreiben Leben einhauchten. Dabei schlüpften sie selbst in die Rolle eines der in dem 1915 entstandenen Bild von George Grosz abgebildeten Menschen, das in der Stuttgarter Staatsgalerie beheimatet ist. „Die Straße knackt“, lautete der Titel des fünftägigen Kurses, bei dem die Wassenberger Bücherkiste wieder mit der Volkshochschule kooperierte und die in gewohnter Weise von Roman- und Hörspielautor Ulrich Land geleitet wurde.
Bei der Vorstellung der Collage von Texten der sechs Teilnehmenden zeigte sich eindrucksvoll, wie sie sich die damalige Zeit zu eigen gemacht und diese nicht nur historisch korrekt beschrieben hatten. Sie hatten sich darüber hinaus auch der freien Lyrik zu verschiedenen Themen wie dem Glück oder dem Mond, aber auch der schiefen Laterne im Bild gewidmet.
„Das Bild zeigt eine jener typischen Straßenszenen in den Halbweltvierteln Berlins, die Grosz auch in seinen satirischen Zeichnungen häufig dargestellt hat“, heißt es in der Gemäldebeschreibung der Staatsgalerie. Trotz futuristischer Ansätze bleibe die Straße jedoch weitgehend im Bereich illustrativer Gegenstandsnähe und elementarer Vereinfachung. „Doch die groteske Verpuppung der Figuren und die grelle Farbgebung in Giftgrün und Rot steigern die nächtlich-schwüle, lüstern-unheimliche Atmosphäre.”
Abwechslungsreiche Lesung
Genau hier setzte auch die Aufgabenstellung von Land an. Keine der Figuren schaue eine andere an. „Und doch scheinen sie sich nicht aus den Augen zu lassen.“ Plötzlich steige den Gestalten das Blut in die Adern. „Sie gewinnen Leben, fangen an zu reden, und schließlich funktionieren auch ihre Körper. Sie verlassen den Bilderrahmen.“ Das geschah dann auch bei der Abschlusspräsentation im Naturpark-Tor, wohin sich bei bestem Sommerwetter weniger Gäste verirrt hatten als es die engagierten Autorinnen und der Autor verdient hätten.
Gekonnt schlüpften die Geschichtenschreiber in ihre Rollen. In einer ersten Runde von Monologen charakterisierten sie sich selbst. Schnell wurde deutlich, dass Hertha (Verena Jeschke) im rechten Haus am Fenster rechts im ersten Stock die Vermieterin für die Zimmer der hier lebenden Prostituierten war. Kitty (Irmgard Stieding) ließ sich in echter Berliner Schnauze erst einmal über all ihre Nachbarn aus. Im weiteren Verlauf der abwechslungsreich gestalteten Lesung sollte sie aber diejenige sein, die das Geschehen immer wieder historisch einordnete. Dazu dienten ihr die Informationen zum Geschehen im Ersten Weltkrieg aus damals erschienenen Tageszeitungen.
Griselde (Inge Remilong-Hillebrand) entpuppte sich als früher einmal gefeierte Revuetänzerin, die jetzt als „abgehalfterte Hure“ auch zu Herthas Mieterinnen gehörte. Georgette (Heike Dahlmanns) war ursprünglich einmal als Au-pair-Mädchen nach Berlin gekommen und verdingte sich jetzt ebenfalls als Hure. „Was hatte ich für ein Leben in Paris“, blickte sie voller französischem Akzent zurück. „Wenig Geld, aber ehrbar.“ Dahin will sie nun unbedingt zurück. Etwas aus der Reihe fällt da Lissi (Doris Junghanns-Nolten), nicht nur, weil sie nicht dem Gewerbe der anderen Frauen im Stück nachgeht, sondern auch, weil sie immer wieder über sich in der dritten Person erzählt.
Und dann wäre da noch Hermann (Peter Hellerer). Er ist nach Berlin gekommen, um Behördengänge für seinen im Krieg gefallenen Sohn zu machen und gerade auf dem Weg zum Männerwohnheim. „Wenn es den Menschen schlecht geht, werden auch die armen Menschen ausgeraubt“, ist einer der Gedanken, die ihm dabei durch den Kopf gehen. Er soll später auf Gisbert (Ulrich Land) treffen, der mit dem Handel von Chlorgas reich geworden ist und dafür von allen mehr und mehr gehasst wird. Die Schimpfwörter von Hermann für ihn können gar nicht derbe genug sein.
In geschickt eingeflochtenen Dialogen schmieden die Hausbewohnerinnen zusammen mit Hermann schließlich den Plan, Gisbert sozusagen um die Ecke zu bringen. Es geht um eine Wäscheleine, um ein Messer, um Gift und schließlich um Bleizucker, der trotz seiner Giftigkeit in früheren Zeiten als Zuckerersatz diente. Schließlich wird das alles nicht gebraucht, denn Gisbert stürzt auf dem Friedhof ganz von alleine in ein offenes Grab.
Für die musikalische Unterhaltung der Lesung sorgte Eckart Krause von „WassenJazz“. Da die gesamte Lesung aufgezeichnet wurde, gibt es sie in Kürze auch zum Nachhören auf der Internetseite der Bücherkiste Wassenberg.
Autorenwettbewerb
Um das Thema Glück ging es schon in den Ergebnissen der Sommerakademie. Die Bücherkiste Wassenberg lädt zum „Glück in all seinen Facetten“ jetzt auch zu einem Autorenwettbewerb ein. „Was bedeutet Glück? Ein Lottogewinn? Ein stiller Moment im Regen? Oder einfach der Duft von frisch gebackenem Brot am Sonntagmorgen?“, lauten die Fragestellungen, mit denen die Bücherkiste Lust machen will, eigene Kurzgeschichten von maximal vier Seiten zu verfassen. Eingereicht werden können sie zwischen dem 1. August und dem 15. Dezember. „Nach zwei Jahren am neuen Standort im Herzen von Wassenberg wollen wir das Glück in all seinen Facetten im Rahmen der Wassenberger Glückswoche literarisch ausloten“, erklärt Irmgard Stieding von der Bücherkiste. Die Publikums-Preisverleihung finde am 18. März um 19 Uhr im Naturpark-Tor statt.
von Ulrich Land (Kommentare: 0)
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